Der Einheitenname des Kilogramms weicht von der Systematik des Internationalen Einheitensystems dadurch ab, dass er mit einem SI-Vorsatz (Kilo) beginnt; deshalb dürfen dezimale Teile und Vielfache des Kilogramms nicht vom Kilogramm ausgehend mit Vorsätzen oder Vorsatzzeichen gebildet werden, stattdessen leitet man sie vom Gramm ab. Seit Modernisierung der Meter-Definition 1960 ist das Kilogramm die einzige SI-Basiseinheit, die noch durch einen Vergleichsgegenstand (Prototyp) festgelegt ist.
Die Kilogrammprototype und –normale
Das Urkilogramm (hier in einem Computermodell)
Seit 1889 bildet das – in der Metrologie sächliche – Internationale Kilogrammprototyp das Referenznormal für die Maßeinheit Kilogramm. Es wird in einem Tresor des Internationalen Büros für Maß und Gewicht (BIPM) in Sèvres bei Paris aufbewahrt. Es handelt sich um einen Zylinder von 39 Millimeter Höhe und 39 Millimeter Durchmesser, der aus einer Legierung von 90 % Platin und 10 % Iridium besteht. Das Material ist chemisch weitestgehend inert. Seine hohe Dichte minimiert, wie die Wahl der Geometrie, die Auswirkung von Oberflächeneffekten. Der Iridiumanteil führt zu einer gegenüber dem relativ weichen reinen Platin deutlich höheren Härte (175HV), was die Bearbeitbarkeit bei der Herstellung verbessert und insbesondere den Abrieb bei der Manipulation verringert.
Neben dem Internationalen Kilogrammprototyp verfügt das Internationale Büro für Maß und Gewicht (BIPM) über weitere Referenz- und Arbeitsnormale (→ Normal), bei denen es sich um Kopien des Internationalen Kilogrammprototyps handelt und die an diesen angeschlossen sind (Anschluss = Kalibrierung an einem Normal höherer Ordnung). Die Referenznormale dienen der Kontrolle (z.B. der Drift), während die Arbeitsnormale dem Anschluss der nationalen Kilogrammprototype dienen, die ebenfalls Kopien des Internationalen Kilogrammprototyps sind. Alle Kopien werden als Kilogrammprototype bezeichnet und sind auf ± 1 Milligramm justiert. Der mit Massekomparatoren vorgenommene Anschluss der Referenz- und Arbeitsnormale hat eine relative Messunsicherheit von 3 · 10−9, der nationalen Kilogrammprototype eine von 5 · 10−9. Bis 2003 waren 84 Kilogrammprototype hergestellt worden.
Staaten, die der Meterkonvention beigetreten sind, sind im Besitz nationaler Kilogrammprototype. Die Staaten können ihre Kopien bei Bedarf zum BIPM bringen lassen, um sie an die Arbeitsnormale des BIPM anzuschließen. Die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB), die neben dem aktuellen nationalen Prototyp (Nummer 52) auch ein weiteres 1987 erworbenes (70) sowie seit 1990 das ehemalige nationale Prototyp der DDR (55) und das 1944 im Zweiten Weltkrieg beschädigte ursprüngliche deutsche nationale Prototyp (22) besitzt, das mit erhöhter Messunsicherheit weiter als Normal verwendet wird, hat dies bisher etwa alle zehn Jahre getan. Die einzelnen metrologischen Staatsinstitute betreiben ein ähnliches System von Referenz- und Arbeitsnormalen wie das BIPM, hier kommen jedoch Stahl- oder Bronzenormale zum Einsatz, insbesondere auch solche mit größeren und kleineren Nennwerten, in Deutschland als Hauptnormalensätze von einem Milligramm bis fünf Tonnen. Hiervon werden die Normale von Industrie und Forschung sowie die der Landeseichbehörden abgeleitet. Problematisch ist der Anschluss der Stahlnormale an die Platin-Iridium-Normale, da der aufgrund unterschiedlicher Volumina zu korrigierende Luftauftrieb hier großen Einfluss auf die Messung hat. Trotz anspruchsvoller Bestimmung der Luftdichte resultieren hieraus relative Messunsicherheiten im Bereich von 1,5 · 10−8.
Vergleiche der nationalen mit dem Internationalen Kilogrammprototyp des BIPM, sogenannte Nachprüfungen, finden ca. alle 50 Jahre statt, bisher 1939/46–1953 und zuletzt 1988–1992. Hierbei stellte man fest, wie auch beim Vergleich mit den Referenznormalen, dass das Urkilogramm im Vergleich zu den Kopien in 100 Jahren um 50 Mikrogramm leichter geworden ist. Die Ursache ist bisher unbekannt. Die Möglichkeit, dass vom Urkilogramm beim Reinigen Material abgetragen wurde, wurde ausgeschlossen. Ein weiterer Erklärungsansatz ist, dass aus der Platin-Iridium-Legierung zum Beispiel Wasserstoff entwichen ist.
Ursprung und Geschichte
Im Zuge der durch die französische Nationalversammlung ab 1790 betriebenen Schaffung eines einheitlichen und universellen Einheitensystems wurden von einer Gelehrtenkommission (Borda, Condorcet, Laplace, Lagrange und Monge) als Masseneinheiten die Massen von einem Kubikmeter, einem Kubikdezimeter und einem Kubikzentimeter Wasser vorgeschlagen. Ein Meter sollte abweichend von der Vorlage der Nationalversammlung, die von der Länge eines Sekundenpendels ausgegangen war, ein Zehnmillionstel der Erdmeridianlänge von Pol zu Äquator sein. Da die zur Festlegung notwendige Meridianvermessung, die von Méchain und Delambre vorgenommen werden sollte, durch verschiedene Kämpfe und Kriege verzögert wurde, beschloss die Nationalversammlung am 1. August 1793 auf der Basis älterer Daten zunächst vorläufige Einheiten unter den Bezeichnungen Bar (Tonne), Grave (Kilogramm) und Gravet (Gramm). Sie konnten mit den Vorsätzen Déci- und Centi- verwendet werden. Am 18. Germinal 3 (7. April 1795) wurden Bar und Grave gestrichen und das Gravet in Gramm umbenannt, größte Masseneinheit war damit das Myriagramm gleich zehn Kilogramm. Gleichzeitig wurde erstmals die Wassertemperatur festgelegt: auf den Gefrierpunkt. Am 4. Messidor VII (22. Juni 1799) wurden dem Gesetzgeber die in Platin gefertigten Maßverkörperungen von Meter und Kilogramm übergeben, die auf der abgeschlossenen Messung beruhten. Aus metrologischen Gründen (Stabilität der Dichte) war entgegen der gültigen legalen Definition als Wassertemperatur die der größten Dichte verwendet worden (4,0 °C). Obwohl noch das Dekret vom 18. Germinal 3 den Meter ausdrücklich als einzige Maßverkörperung vorgesehen hatte, wurden beide Maßverkörperungen mit dem Gesetz vom 19. Frimaire VIII (10. Dezember 1799) gesetzliche Einheiten. Sie wurden später nach ihrem Aufbewahrungsort als Mètre des Archives und Kilogramme des Archives bezeichnet. Die drei Zeitstufen der Einheiten werden zur Unterscheidung mit den Zusätzen provisoire, républicain und définitif versehen. Bei den Massen müssen nur das Gramm und seine Vielfachen in républicain und définitif unterschieden werden.
Frankreich hatte von Anfang an eine internationale Vereinheitlichung angestrebt, und ausländische Delegierte waren 1798/99 an der endgültigen Ausgestaltung der neuen Einheiten beteiligt gewesen. Nachdem im 19. Jahrhundert neben Frankreich bereits eine Mehrzahl der europäischen Staaten das neue Einheitensystem nutzte, gab es ab 1867 konkrete Bestrebungen der internationalen Wissenschaft zur Errichtung einer internationalen Organisation des Maß- und Gewichtswesens. Diese führten 1870 zur Bildung der Internationalen Meterkommission in Paris, deren Arbeiten, unterbrochen vom Deutsch-Französischen Krieg, 1875 zur Internationalen Meterkonvention führten. Die Konvention sah nicht nur die Herstellung neuer Kopien, sondern auch eines neuen internationalen Prototypen für die Masse vor. Dazu wurden aus der neuentwickelten härteren, jedoch auch 5 % dichteren Legierung PtIr10 1878 drei 1-kg-Zylinder KI, KII und KIII hergestellt und am Kilogramme des Archives justiert. Zur Volumenbestimmung und Korrektur des Luftauftriebs wurden hydrostatische Wägungen vorgenommen. Bei von mehreren Beobachtern unabhängig vorgenommenen Vergleichen konnte 1880 im Rahmen der damals erreichbaren Messgenauigkeit nach Korrektur des Auftriebs kein Unterschied zwischen KIII und dem Kilogramme des Archives festgestellt werden. 1883 bestimmte das Komitee für Maß und Gewicht daher KIII zum Internationalen Kilogrammprototyp . Bis 1884 wurden weitere 40 nun auf 1 Kilogramm ± 1 Milligramm justierte Kilogrammprototype hergestellt. Sie wurden nach hydrostatischer Wägung anschließend an kalibriert.
1889 wurde mit dem entsprechenden formellen Beschluss der 1. Generalkonferenz für Maß und Gewicht auch der Wechsel der Definition des Kilogramms von der Masse des kilogramme définitif zu der des Internationalen Kilogrammprototyp vollzogen. Im Rahmen der 1939 durchgeführten Nachprüfungen sollte sich herausstellen, dass dies auf Dauer einen signifikanten Unterschied bedeutete: Im Vergleich zum Internationalen Kilogrammprototyp verlor das aus geschmiedetem Platinschwamm hergestellte Kilogramme des Archives in 58 Jahren 430 Mikrogramm seiner Masse. Von den 40 kopierten Kilogrammprototypen wurden zunächst 29 durch Verlosung an Staaten der Konvention und andere Interessierte, insbesondere wissenschaftliche Gesellschaften, zum Selbstkostenpreis abgegeben, eines wurde neben KI als Referenzexemplar mit dem Internationalen Prototyp verwahrt, zwei als Arbeitsexemplare dem BIPM zugeteilt. Durch beitretende Staaten verringerte sich der Reservebestand, 1925 wurde die Zahl der Referenzexemplare auf vier erhöht.
Seit 1928 werden entsprechend dem steigenden Bedarf laufend neue Prototype gefertigt. Neben neu hinzukommenden Staaten erhöhten viele der größeren metrologischen Staatsinstitute ihren Bestand, auch die Zahl der Referenzexemplare zu und Arbeitsexemplare am BIPM erhöhte sich entsprechend. Ende der 1970er Jahre wurde ein neues Fertigungsverfahren entwickelt, bei dem Diamantwerkzeuge eingesetzt werden, um die Prototype ausschließlich durch Plandrehen einer Stirnseite und anschließendes stufenweises Drehen einer polygonalen Fase zu justieren, wodurch das vorher notwendige aufwendige manuelle Schleifen mit abnehmenden Körnungen entfällt. Zur Sicherstellung eines zur Diamantbearbeitung geeigneten feinkörnigen Gefüges wurde auch die Legierungszusammensetzung, insbesondere die Obergrenzen der Nebenbestandteile, genauer festgelegt und der Herstellungsprozess der Rohlinge durch Gießen, Schmieden und schließlich Extrudieren von Material für in der Regel sieben Prototype verbessert. Aus Anlass der Nachprüfung der nationalen Prototype 1988–1992 wurde die Reinigung und ihre Auswirkungen systematisch untersucht und hierzu ein standardisiertes Verfahren festgelegt. In der Folge der Nachprüfung rückte verstärkt die Entwicklung einer verbesserten Massendefition in den Fokus.
Geplante Neudefinition
Derzeit wird weltweit daran gearbeitet, das Kilogramm so neu zu definieren, dass es von einer Fundamentalkonstanten der Physik abgeleitet werden kann. Dieses Vorhaben bekam durch die oben angesprochene Abweichung eine besondere Dringlichkeit. Um eine Verbesserung gegenüber der derzeitigen Situation zu erzielen, muss ein Verfahren zur Massebestimmung mit einer Genauigkeit in der Größenordnung von 10−8 entwickelt werden. Ein Ergebnis sollte bis 2010 erreicht werden, um auf der nächsten turnusgemäßen Generalkonferenz für Maß und Gewicht 2011 eine neue Definition verabschieden zu können. Zwei Ansätze wurden auch mit Blick auf den Termin vorläufig aufgegeben, zwei weitere, das Avogadroprojekt und die Watt-Waage, werden noch ernsthaft verfolgt. Das Avogadroprojekt verfehlte 2010 zunächst knapp die erforderliche Genauigkeit, ihr Erreichen gilt aber bei einer Weiterverfolgung des Vorhabens als sicher. Zur Watt-Waage waren bis Ende Januar 2011 keine Ergebnisse bekannt. Auf der Konferenz wurde beschlossen, die Einheiten Kilogramm, Ampere, Kelvin und Mol zukünftig von physikalischen Konstanten abzuleiten. Eine Entscheidung über das genaue Verfahren und den Zeitplan für dessen Implementierung werden für die nächste Generalkonferenz im Jahr 2014 erwartet.
Avogadroprojekt
Silicium-Kugel für das Avogadroprojekt
Bestimmung der Avogadro-Konstante NA aus Masse m und Volumen V eines Körpers, der aus einem Material bekannter Teilchendichte n und molarer Masse M besteht:
Ist der größte Unsicherheitsfaktor darin die Verlässlichkeit des Kilogramms, so wäre die Umkehrung möglich: Ein Kilogramm könnte genauer definiert werden als bisher, indem es als die Masse einer bestimmten Anzahl von Atomen einer bestimmten Isotopenmischung festgelegt wird.
Eine ausreichend genaue Bestimmung der Teilchendichte n ist nur mittels Röntgenlaserinterferometer möglich und setzt ein monokristallines Material voraus. Wegen der Anforderungen an die Genauigkeit der Materialkennwerte kommt hierfür derzeit praktisch nur chemisch höchstreines, isotopenreines Silicium-28 in Frage. Bei natürlichem Silicium, das ein Gemisch aus drei Isotopen ist, begrenzt die relativ schlechte Bestimmbarkeit der mittleren molaren Masse die Gesamtgenauigkeit. Die genaue Volumenbestimmung erfordert die Herstellung einer hochgenauen Kugel aus dem Material. Darüber hinaus müssen Fehlstellendichte, Fremdatomkonzentrationen, Stärke und Zusammensetzung der Siliciumdioxidschicht an der Oberfläche und anderes berücksichtigt werden.
An natürlichem Silicium konnte zunächst die Avogadro-Konstante in der bisherigen Genauigkeit bestätigt werden. Koordiniert von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt in Braunschweig wurde in einer Kooperation acht metrologischer Institute hochreines und hochangereichertes Silicium 28 für ein um den Faktor 10 genaueres Experiment hergestellt. Dazu wurde in Zusammenarbeit mit dem russischen Atomministerium in russischen Isotopentrennungsanlagen Silicium auf einen Si-Gehalt von 99,994 % angereichert und anschließend nochmals chemisch gereinigt. Zu diesem Zeitpunkt lagen die Kosten für die Produktion des 6 kg schweren Rohmaterials bereits bei 1,2 Mio. Euro. Nach verschiedenen Analysen und der Züchtung von Einkristallen, bei der auch die chemische Reinheit durch mehrfache Anwendung des Zonenschmelzverfahrens nochmals erhöht wurde, wurden am National Measurement Institute NMI-A in Australien daraus zwei 1-kg-Kugeln mit einer maximalen Gestaltabweichung von 30 nm bei ca. 93,7 mm Durchmesser hergestellt. Dann erfolgten aufwändige Prüfungen zur Abschätzung des Einflusses der Kristallbaufehler, anschließend wurden die Gitterparameter am italienischen Metrologieinstitut INRIM mittels eines Röntgeninterferometers bestimmt und eine Vergleichsmessung an einem Kristall aus natürlichem Silicium am amerikanischen NIST durchgeführt. Die Massen der beiden Siliciumkugeln wurden am BIPM, am NMIJ (Japan) und in der PTB unter Vakuum mit den internationalen Massenormalen verglichen.
Das Volumen wurde einschließlich der Abweichungen von der Kugelform mit Interferometern unterschiedlicher Strahlgeometrien an NMIJ und NMI-A gemessen, außerdem an der PTB, wo ein neu entwickeltes Kugelinterferometer auf Basis eines Fizeau-Interferometers mit Unsicherheiten unter einem Nanometer zum Einsatz kam.
Stärke und Zusammensetzung der im Wesentlichen aus Siliciumdioxid bestehenden Oberflächenschicht wurden zur Bestimmung der Gesamtdichte mit Elektronen-, Röntgen- und Synchrotronstrahlung untersucht. Dabei wurde unter anderem eine beim Polierprozess entstandene unerwartet hohe metallische Kontamination der Kugeloberflächen mit Kupfer- und Nickelsiliciden festgestellt und ihr Einfluss auf die Ergebnisse von Kugelvolumen und -masse abgeschätzt, was auch zu einer höheren Messunsicherheit als erwartet führte. Der größte Anteil an der Reduktion der relativen Gesamtmessunsicherheit wurde durch die Entwicklung einer neuen massenspektrometrischen Methode zur Bestimmung der mittleren molaren Masse des Siliciums erzielt.
2010 wurde die Avogadrokonstante mit einer Gesamtmessunsicherheit von 3·10−8 zu NA = 6,02214078(18)·1023 mol−1 neu bestimmt. Diese Genauigkeit übertrifft die bisher erzielte, die Unsicherheit liegt aber noch um den Faktor 1,5 über der vom Beratenden Komitee für die Masse für eine Neudefinition des Kilogramms verlangten von 2·10−8. Es wird jedoch damit gerechnet, dass mit weiteren Verbesserungen der Kugelinterferometrie und des Schleifprozesses, der zu der Metallkontamination der Oberflächenschicht geführt hatte, die verlangte Genauigkeit in absehbarer Zeit erreichbar ist.
(Quelle: Wikipedia)
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